Project description
Das Projekt will die für die Schweiz neue Thematik der frühkindlichen Bildung dauerhaft in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft etablieren: Aktuelle Forschung zeigt, dass die ersten Lebensjahre die lernbedeutsamsten sind. Daraus leiten sich eine Reihe von ungelösten Fragen für die Bildungsforschung, die Bildungs-, Schul-, Familien- und Integrationspolitik ab.
Die Studie hat vier Ziele. Sie soll (1) den Status quo der frühkindlichen Bildung in der Schweiz aufzeigen; (2) durch den Blick auf die internationale Szene einen Vergleich mit anderen Ländern ermöglichen («Starting Strong», «Bildung auf einen Blick»; «Good Start grow smart»); (3) auf dieser Basis Handlungsfelder,Themen und Aufgaben definieren, die in unserem Land zukünftig bearbeitet werden müssen; (4) ein Argumentarium bereitstellen, um interessierte Partner von der Bedeutsamkeit der Thematik zu überzeugen.
What is special about the project?
Die Gebert Rüf Stiftung unterstützt das international vernetzte und für die Schweiz innovative Projekt interdisziplinär ausgerichteter Bildungsforschung. Die Thematik hat weitreichende politische Implikationen.
Status/Results
Die erste schweizerische Grundlagenstudie zur frühkindlichen Bildung in der Schweiz zeigt folgende Resultate:
Frühkindliche Bildung ist ein Schlüsselfaktor für den späteren Lern- und Lebenserfolg und hilft mit, herkunftsbedingte Chancenungleichheit zu vermeiden. Eine von der Schweizerischen UNESCO-Kommission in Auftrag gegebene Grundlagenstudie belegt nun, dass die Schweiz im Bereich der frühkindlichen Bildung grossen Aufholbedarf aufweist und im internationalen Vergleich bestenfalls Mittelmass ist.
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung
Festgeschrieben ist dieses Bildungsrecht in der UN-Kinderrechtskonvention, welche die Schweiz 1997 ratifiziert hat. Dass der Bildung, Betreuung und Erziehung von Geburt an spezielle Bedeutung zukommt, haben die PISA-Untersuchungen gezeigt: Die erfolgreichsten Länder verfügen auch über gut ausgebaute Systeme der frühkindlichen Bildung. Darüber hinaus fördern diese Länder Kinder aus unterprivilegierten, bildungsfernen Schichten besonders gut. Internationale Studien belegen, dass die Unterschiede von Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Schichten bereits im Alter von vier Jahren so gross sind, dass sie später kaum mehr wettzumachen sind. In einem Alter also, in dem man in der Schweiz gerade einmal damit beginnt, die Kinder systematisch zu fördern und zu bilden. Dies ist fatal, denn die Forschung hat nachdrücklich aufgezeigt, dass die ersten Lebensjahre die wichtigste Phase für die soziale, emotionale und intellektuelle Entwicklung eines Kindes sind.
Erste umfassende Bestandesaufnahme
Dass dieses Versäumnis für die Schweiz sowohl bildungs- und gesellschaftspolitische als auch volkswirtschaftliche Nachteile mit sich bringt, zeigt die erste schweizerische Grundlagenstudie, welche die Universität Fribourg im Auftrag der Schweizerischen UNESCO-Kommission erstellt hat und die von der AVINA STIFTUNG, der Ernst Göhner Stiftung, der Gebert Rüf Stiftung, der Jacobs Foundation, der Stiftung Mercator Schweiz und dem Migros Kulturprozent ermöglicht wurde. Besonders grosse Lücken stellt die Studie bei der Förderung benachteiligter Kinder und solcher mit besonderen Bedürfnissen, bei der Sicherung der pädagogischen Qualität familienergänzender Betreuungsangebote sowie bei der internationalen Anschlussfähigkeit der Schweiz fest. Als ausbaubare Stärken bezeichnet die Studie die bereits vorhandenen, vielfältigen Praxisangebote sowie das neue Schuleingangsmodell der Grund- und Basisstufe und ihre Verknüpfungen mit der frühkindlichen Bildung in der Schweiz. Die Studie zeigt auch auf, dass sich Investitionen in den Bereich der frühkindlichen Bildung volkswirtschaftlich lohnen. Internationale Vergleiche belegen, dass ein gutes System der frühkindlichen Bildung zu besseren Schulabschlüssen und bei den Eltern zu einer ausgeprägteren Berufstätigkeit und damit zu einem höheren Einkommen führt. Da frühkindliche Bildung für benachteiligte Kinder besonders wirksam ist, brauchen sie weniger
sonderpädagogische Stützmassnahmen, müssen seltener Klassen wiederholen und zeigen auch ein weniger delinquentes Verhalten. Entsprechend gut rentieren Investitionen in den Vorschulbereich: Pro investiertem Franken resultiert ein volkswirtschaftlicher Nutzen von rund zwei bis vier Franken.
Schweiz bestenfalls Mittelmass
Fakt ist, dass die Schweiz im internationalen Vergleich bestenfalls Mittelmass ist und zu den wenigen Ländern gehört, in denen Kinder unter sechs Jahren noch ohne kohärentes Konzept gebildet, betreut und erzogen werden. Überdeutlich zeigt sich dies bei den Ausgaben für ausserfamiliäre Kinderbetreuung und Investitionen in Familien. Mit Investitionen von 0,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP), also rund einer Milliarde Franken, liegt die Schweiz nur bei einem Fünftel jenes Anteils, den die OECD empfiehlt. Zudem investiert sie nur ein Viertel dessen, was Norwegen für frühkindliche Bildung ausgibt und weniger als die Hälfte von Deutschland.
Weniger als die Schweiz gibt im Vergleich der OECD lediglich Portugal aus. Diese Beurteilung wird auch von der im Dezember 2008 erschienenen UNICEF-Studie „The child care transition“ bestätigt. Sie untersuchte in 25 OECD-Staaten die Umsetzung der frühkindlichen Bildung anhand von zehn Kriterien. Im Ergebnis belegen die skandinavischen Länder sowie Frankreich die ersten Plätze. Die Schlusslichter sind Australien, Kanada, Irland und die Schweiz. Letztere erfüllt lediglich drei Kriterien. Schlecht schneidet die Schweiz auch bei der von der OECD erhobenen Beteiligung von unter fünfjährigen Kindern an Vorschulprogrammen ab. Während diese im europäischen Raum von 1999 bis 2003 von 55 Prozent auf 65 Prozent anstieg, wuchs sie in der Schweiz im selben Zeitraum lediglich von 20 Prozent auf 23 Prozent.
Frühkindliche Bildung als gesellschaftliches Erfordernis
Ein gut ausgebautes System im Vorschulbereich erfüllt drei wichtige Aufgaben: Erstens werden herkunftsbedingte Ungleichheiten vermieden und Chancengerechtigkeit hergestellt. Zweitens tragen Investitionen in die frühkindliche Bildung dazu bei, später anfallende Kosten zu vermeiden, und drittens kann ein breites, allen Sozialschichten zugängliches Angebot der demographisch bedenklichen, zunehmenden Kinderlosigkeit entgegenwirken. Länder wie Frankreich, Schweden oder Neuseeland besitzen nicht nur Bildungspläne für den gesamten vorschulischen Bereich, sondern lassen sich dessen Erforschung auch einiges kosten. Auch in Deutschland erfolgten in den letzten Jahren grosse Anstrengungen.
Fördern statt hüten
Frühkindliche Bildung trifft in der Schweiz dann auf vehementen Widerstand, wenn sie mit der Vorverlegung schulischer Inhalte in den bis anhin bildungsfreien Vorschulraum verknüpft wird. Die Schweizerische UNESCO-Kommission will diese enge Perspektive aufbrechen und spricht von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE). Sie meint damit die bewusste Anregung der kindlichen Aneignungstätigkeit durch Erwachsene. Dies entspricht dem angeborenen Drang des Kleinkindes, sich Wissen anzueignen und sich ein Bild von der Welt zu machen. Frühkindliche Bildung ist also ein pädagogisches Gesamtkonzept, das die
gesundheitliche und physische Entwicklung von Vorschulkindern, deren emotionales Wohlbefinden, einen positiven Zugang zum Lernen, Kommunikationsfähigkeiten sowie kognitives und allgemeines Wissen umfasst. Dies bedeutet, dass familienergänzende Betreuung nicht nur Familienersatz ist sowie Pflege und Hüten umfasst, sondern auch mit Förderung und Engagement verbunden ist.
Fünf Forderungen
„Die UNESCO betrachtet das Lernen in den ersten Lebensjahren als Grundlage für die menschliche Entwicklung", sagt Heinz Altorfer, Vize-Präsident der Schweizerischen UNESCO-Kommission und Leiter dieses Projekts. In ihrer Erklärung von Dakar im Jahr 2000 hat sich die UNESCO zum Ziel gesetzt, die Betreuung und Bildung in der frühen Kindheit weltweit zu verbessern. Sie geht davon aus, dass im Zentrum aller Bemühungen die optimale Entfaltung des Kindes von Geburt an steht, dass Familie und Gesellschaft sich in der Verantwortung für FBBE ergänzen und dass Aufwendungen für frühkindliche Bildung Investitionen in die Zukunft sind. Die Schweizerische UNESCO-Kommission will frühkindliche Bildung nachhaltig in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft verankern und dazu ein Netzwerk mit Partnern aus Forschung, Praxis, Politik und Gemeinwesen bilden.
Basierend auf der Studie der Universität Freiburg und koordiniert mit den Handlungsempfehlungen anderer ausserparlamentarischer Kommissionen erhebt die
Schweizerische UNESCO-Kommission fünf zentrale Forderungen:
- Die Familie muss gestärkt werden, damit sie ihre Potenziale realisieren kann.
- Familienergänzende Betreuungsangebote müssen zu Bildungsorten werden.
- Forschung und Lehre zu frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung müssen in der Schweiz markant ausgebaut werden.
- Eine Neubeurteilung der politischen Zuständigkeiten für die frühkindliche Bildung ist notwendig, weil es um mehr geht als um reine Sozialpolitik.
- Die Investitionen in die frühkindliche Bildung sind zu erhöhen.
Publications
Grundlagenstudie: Stamm, M. (2009). Frühkindliche Bildung in der Schweiz. Eine Grundlagenstudie im Auftrag der Schweizerischen UNESCO-Kommission. Departement für Erziehungswissenschaften der Universität Fribourg:
http://www.fruehkindliche-bildung.ch
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Last update to this project presentation 29.10.2018