Projektbeschreibung
Das Projekt hat zum Ziel, aus der Verhaltensökonomie abgeleitete Lösungsansätze im Gesundheitswesen anzuwenden und damit Menschen mit chronischen Erkrankungen durch sanftes „Anstupsen“ (Nudging) so zu beeinflussen, dass sie sich gesundheitsförderlich verhalten und, wenn angebracht, sich dabei auch von neuen Technologien unterstützen lassen.
Zunächst werden gemeinsam mit den Betroffenen motivierende bzw. hemmende Faktoren identifiziert und entsprechende Massnahmen aus dem verhaltensökonomischen Repertoire konzipiert. Dies umfasst u.a. vorselektierte Einstellungen (z.B. Zustimmungs- vs. Widerspruchslösung bei Organspenden), materielle Anreize und die Mobilisierung sozialer Normen. Gleichzeitig wird untersucht, welche modernen Technologien, Anwendungen und Tools solche Massnahmen sinnvoll ergänzen bzw. begleiten können. Die vielversprechendsten Vorschläge werden mit einer Gruppe von Testpersonen validiert.
Durch die durchgehende Einbeziehung der Betroffenen wird die häufig gegenüber dem verhaltensökonomischen Ansatz vorgebrachte Kritik der Bevormundung durch die bzw. der mangelnden demokratischen Legitimation der ExpertInnen entgegengewirkt.
Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Das Projekt fokussiert auf den Einsatz von verhaltensökonomischen Erkenntnissen, welche im Gesundheitswesen bisher kaum Anwendung finden. Damit soll der häufig mangelnden Motivation und Akzeptanz von Gesundheitsprogrammen sowie eHealth-Anwendungen bzw. –Tools begegnet werden. Die vielversprechendsten Ansätze und Massnahmen wurden gemeinsam mit Betroffenen ausgewählt und weiterverfolgt. Im Rahmen des Projekts wurde zudem ein generisches Framework mit personalisierbarer Zielhierarchie und unterschiedlichen Nudges entwickelt, welches sich leicht für neue Anwendungen und Zielgruppen anpassen lässt.
Stand/Resultate
Zu Beginn des Projekts hat das Team einen Überblick zu bestehenden Nudging-Massnahmen auf europäischer und nationaler Ebene erarbeitet. Die vielversprechendsten Massnahmen wurden auf knapp 2 Seiten zusammengefasst, um sie mit ExpertInnen und Betroffenen zu diskutieren. Dazu führten wir Interviews mit VertreterInnen von Lungenliga, Careum Stiftung, Fibromyalgie-Forum, Versicherungen, ExpertInnen für Adipositas und Essstörungen sowie mit TeilnehmerInnen von Rauchstopp-Kursen und dem von der Careum-Stiftung angebotenen Evivo-Programm. Ferner wurde versucht, Nudging mit den Empfehlungen von Teisberg für das Schweizer Gesundheitswesen zu verknüpfen, die auf der Value-based Health-Agenda von Porter basiert.
Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass der Grossteil der Befragten Nudging (vorsichtig) positiv gegenüberstehen, aber dass sich sehr viele Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, sozio-ökonomischer Status, Bildungsgrad, vor allem aber die soziale und physische Umwelt) sich auf das Verhalten auswirken, so dass sich keine Best Practices empfehlen lassen. In der Halbzeit zeigte sich eine gewisse Ernüchterung, was jedoch angesichts des weit verbreiteten Hypes wohl eher positiv zu werten ist. Die grosse Herausforderung besteht unserer Meinung nach darin herauszufinden, was funktioniert, für wen, unter welchen Umständen und für wie lange und mit welchen anderen Interventionsarten sich Nudging am besten kombinieren lässt. Dies lässt sich am besten mittels Experimenten und- im Falle von E-Nudging - einfachen Prototypen erreichen.
Zu diesem Zweck suchten wir Menschen mit verhaltensbedingten chronischen Erkrankungen, die interessiert sind, sich als Testpersonen am Projekt zu beteiligen. So wurden u.a. über unsere Publikationen in der Zeitschrift Clinicum Patienten bzw. Patientengruppen mit chronischen Erkrankungen angesprochen. Im Laufe der Gespräche mit Betroffenen sowie mit Ärzten kristallisierte sich jedoch heraus, dass Stress – neben Bewegungsmangel und Übergewicht – bei den meisten chronischen Beschwerden, darunter Rückenschmerzen, Tinnitus, Schlafstörungen, Depressionen und Burn-Out Syndrom, eine Rolle spielt. Aus diesem Grund beschloss das Projekt-Team, sich nicht auf ein bestimmtes Krankheitsbild, sondern auf Stress als wichtigen Risikofaktor zu konzentrieren.
Für die Testläufe konnten wir auf eine im Rahmen eines anderen Forschungsprojekts entwickelte App aufbauen und diese mit benutzerspezifischen Nudges erweitern. Dabei handelt es sich um eine mobile, auf Smartphones und Sensoren basierende Lösung, die eine frühzeitige Erkennung von Stresssituationen erlaubt und somit zur Stressprävention beiträgt. Da wir wissen, dass Menschen sehr unterschiedlich auf Nudges reagieren und nicht alle Nudges bei allen gleich wirken, kommen verschiedene Nudges, darunter Lob, Belohnung/Incentives, Erinnerung, Ermunterung, Vergleich mit Peer Group zur Anwendung. Derzeit verwenden Apps zur Unterstützung gesundheitsförderlichen Verhaltens meist vordefinierte Feedbacks zu fixen Zeitpunkten. Ihre Wirksamkeit lässt sich signifikant erhöhen, wenn man stattdessen situationsspezifische Feedbacks, Möglichkeiten der Personalisierung und eine automatische Benutzeradaption verwendet.
Um die Wirksamkeit der Nudges beurteilen zu können, müssen diese an direkt beinflussbare Ziele gekoppelt sein wie z.B. mehr körperliche Aktivität gemessen anhand der Anzahl Schritte pro Tag. Wir haben daher eine App entwickelt, welche sowohl die Benutzersituation berücksichtigt als auch die Nudges an die Benutzer adaptiert. Die Usability der App wurde von Experten, Schülern der Kantonsschule Sargans sowie im Rahmen von Studierendenprojekten bewertet und das Feedback derzeit integriert. Nähere Informationen über die Umsetzung finden Sie in unseren Publikationen (siehe unten).
Zusammengefasste Ergebnisse:
- Selbstlernende Anwendungsplattform mit personalisierbarer Zielhierarchie für Verhaltensänderungen,
- App-Prototyp, der iterativ getestet und im Hinblick auf bestimmte Wirkungsfaktoren evaluiert wird,
- Verbreitung der Ergebnisse durch Vorträge, Workshops, peer-reviewed Artikel in diversen Fachzeitschriften,
- Integration von Projektinhalten auf Master-Ebene (Wirtschaftsinformatik u. Betriebsökonomie)
- Mehrere Folgeprojekte mit einem doppelt so hohen Finanzvolumen wie die Initialfinanzierung durch die GRS.
Publikationen
Maier, E. und Reimer, U. (2015)
E-Nudging – Motivationshilfe in der Prävention und im Umgang mit chronischen Erkrankungen im Alltag, Clinicum 6-15, 66-74;
Maier, E. und Ziegler, E. (2015)
Sanfte Stupser für gesundheitsförderliches Verhalten – oder: Nudging im Gesundheitswesen, Clinicum 3-15, 76-81;
Reimer, U. u. Maier, E. (2016)
Personalisierung und automatische Benutzeradaption in Smartphone-Apps, IT for Health, Netzwoche 02-2016.
Medienecho
Links
Am Projekt beteiligte Personen
Prof. Dr. Edith Maier, Projektleiterin, FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Institut IPM-FHS
Emanuele Laurenzi, MSc., FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Institut IPM-FHS
Prof. Dr. Ulrich Reimer, FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Institut IPM-FHS
Ulmer Tom, MSc., FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Institut IPM-FHS
Brettenhofer Marlene, MPH, Interdisziplinäres Kompetenzzentrum Alter (IKOA-FHS), FHS St. Gallen (bis 31.08.2015)
Otto Ulrich, Prof. Dr. habil., Institut für Soziale Arbeit (IFSA-FHS), Leiter Kopmetenzzentrum gnerationen (CCG), FHS St. Gallen (bis 31.07.2014)
Tarnutzer Silvan, lic.phil., Interdisziplinäres Kompetenzzentrum Alter (IKOA-FHS), FHS St. Gallen (bis 31.10.2015)
Letzte Aktualisierung dieser Projektdarstellung 20.10.2020