Update Medienförderung

Retten Förderstiftungen die Schweizer Medien?

30. Oktober 2024

Es ist wie ein Refrain zu einer bekannten Melodie, wenn auch alles andere als ein Ohrwurm. Der Schweizer Mediensektor baut Stellen ab, und zwar massiv. Es trifft grosse, aber auch kleinere Player. Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben die vier grossen Medienhäuser rund 700 Stellen gestrichen. Doch auch die kleineren entlassen Mitarbeiter:innen: 27 die Westschweizer Mediengruppe ESH Médias, 5 der Freiburger Medienverlag St-Paul Médias SA, 3 das Onlineportal «Die Ostschweiz». Die Hiobsbotschaften folgen einem bekannten Muster, einem langfristigen Trend.

Die analoge Medienwelt in der Schweiz schwindet, schleichend, aber stetig. Die Anzahl Medientitel geht zurück – 2009 waren es noch 312, heute 245. Die Auflagen: Sie haben sich in den letzten 15 Jahren halbiert, von 9,21 Millionen auf heute 4,56 Millionen. Die Regionalzeitungen spüren die Medienkrise am heftigsten: Vom «Der Landbote» über den «Berner Oberländer» bis zur «Tribune de Genève»: Alle werden sie in die Zentralredaktionen integriert. Noch nie war der Medienvielfaltsverlust bei einer Sparrunde so gross.

Die internationalen Tech-Plattformen graben den nationalen Medien das Wasser ab. Immer mehr Menschen in der Schweiz bilden sich ihre Meinung über Online-Medien und entfernen sich aus dem Einflussbereich der klassischen Medien, insbesondere junge Menschen, die beim Medienkonsum primär auf Nützlichkeit und Vergnügen aus sind. Journalismus wird dadurch zum Verlustgeschäft.

Die Werbeeinnahmen gehen seit Jahren zurück, genauso wie die Zahl der Abonnenten, besonders bei den Zeitungen, und dort vor allem bei der Tagespresse. Verluste gibt es auch beim Fernsehen: Knapp die Hälfte der Fernseh-Werbegelder geht ins Ausland. Zuwachs verzeichnet hingegen der Online-Markt: Schätzungen zufolge fliessen jährlich CHF 2 Mrd. an Werbegeldern an Suchmaschinen und Soziale Medien. Das Geschäftsmodell der regional oder national ausgerichteten Medien trägt nicht mehr.

Nun könnte man argumentieren: Alles halb so schlimm, die Vielfalt an Informationsquellen ist der Demokratie förderlich, weil sich die Bürger:innen über ganz unterschiedliche Kanäle ihre Meinung bilden können, gleichsam differenzierter als «nur» über die klassischen Medien. Ein Blick ins Ausland, insbesondere in die USA, zeigt: Das ist ein Trugschluss. Filterblasen und Desinformation befeuern die politische Polarisierung, das Wegbrechen der Qualitätsmedien fragmentiert und verroht den öffentlichen Diskurs, es wird immer weniger möglich, ein gemeinsames Verständnis von «Wirklichkeit» zu entwickeln.

Was kann der gemeinnützige Stiftungssektor beitragen, um diese Abwärtsspirale von schwindenden Einnahmen, Stellenabbau und Bedeutungsverlust aufzuhalten? Zunächst einmal nicht viel: Dafür sind die Probleme zu gross, der Stiftungssektor und die medienfördernden Stiftungen zu klein. Stiftungen werden die Schweizer Medien nicht retten können. Und dennoch können sie eine Rolle spielen. Es haben sich mittlerweile zwei wesentliche und zugleich komplementäre Förderansätze herauskristallisiert:

1. Mit dem kürzlich lancierten Media Forward Fund geht eine mit CHF 6 Mio. dotierte Förderinitiative an den Start, die vor allem von Stiftungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz alimentiert wird. Ziel ist es, die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen in gemeinwohlorientierten Medien zu unterstützen, dies vor allem in publizistischen Lücken auf lokaler und regionaler Ebene, wo keine journalistische Berichterstattung mehr stattfindet. Hier ökonomisch tragfähige Geschäftsmodelle auszuprobieren und nachhaltig zu implementieren, ist eine Herausforderung, die der Fund nur als Übergangslösung angehen kann. Die länderübergreifende Initiative will aufzeigen, wie ein Fördermodell funktioniert, auf welches der Staat später einzahlen kann. Die erste Bewerbungsrunde wurde im September abgeschlossen, die Evaluation der über 130 Bewerbungen ist im Gange.

2. Der Innovationsfonds für multimedialen Journalismus setzt den Hebel bei innovativen Erzählformaten an. Die Überzeugung ist hier: Je innovativer und attraktiver Journalist:innen über News berichten, desto besser sind die Chancen, auch ein jüngeres Lesepublikum zu erreichen und nachhaltig an die journalistische Berichterstattung zu binden.

Der Fonds unterstützt deshalb gemischte Teams aus Journalist:innen, Designer:innen und Programmier:innen, die neue Multimedia-Formate ausprobieren und stärker in den Redaktionen verankern wollen – unabhängig davon, ob sie freischaffend sind oder einer Redaktion angehören. Entscheidend ist der Impact bzw. die Reichweite der Beiträge durch die Open Access-Publikation in einem starken Schweizer Online-/Print-Medium. Finanziert wird mit CHF 20'000 die Pilotierung und im Erfolgsfall die Skalierung mit weiteren CHF 100'000, sofern sich die Redaktionen entsprechend beteiligen.

Die Initiative wurde im vergangenen Herbst von der Gebert Rüf Stiftung lanciert, vor kurzem hat sich die Fondation Leenaards angeschlossen. Zusammen wollen wir die Kräfte bündeln bei der Innovationsförderung des Schweizer Journalismus.

Wichtig bei dieser Förderinitiative: Sie ist eingebettet in ein ganzes Bündel von Begleitaktivitäten. So ist vorgesehen, dass die Journalist:innen der verschiedenen Redaktionen ihre Erfahrungen mit Multimedia-Tools und Erzählformaten miteinander teilen und so voneinander lernen. Wir veranstalten daher auch Netzwerkanlässe, wo «Best Practice»-Projekte vorgestellt werden und das Matching mit Webdesigner:innen stattfinden kann, so am 19. November in Lausanne. Um Journalist:innen einen Einblick in die neusten Trends im US-amerikanischen Medienmarkt zu ermöglichen, offeriert die Gebert Rüf Stiftung daneben ein zweiwöchiges Bootcamp bei swissnex San Francisco zu digitalem Storytelling.

Last, but not least: Alle Medienförderung nützt nichts ohne Medienkompetenzförderung. Wenn Jugendlichen unklar bleibt, was die Differenz ist zwischen journalistisch, durch Recherche, Analyse und kritische Einordnung abgesicherten Nachrichten und den News, die sich ungeprüft auf den Social Media-Plattformen verbreiten, werden sie kaum den Weg zum Tagi, dem Blick oder zur NZZ finden. Darum unterstützt das Scientainment-Programm der Gebert Rüf Stiftung auch die PUMAS Medienwoche, die 50 Schulklassen im Kanton Zürich die Möglichkeit bietet, bei den grossen Schweizer Redaktionen einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und selber journalistische Beiträge im Text-, Audio- und Video-Format zu erarbeiten – alles in enger Begleitung durch eine Journalist:in.

Medienförderung ist für Förderstiftungen ein Tummelfeld mit viel Potential. Sie retten mit ihrem Engagement die Medien nicht, können allerdings in einem demokratierelevanten Bereich einen wichtigen Beitrag leisten, damit Schweizer Medien den laufenden Transformationsprozess besser meistern können.

In der Schweiz gibt es eine Handvoll Stiftungen, die sich in der Medienförderung engagieren. Die Gebert Rüf Stiftung gehört zu den Pionieren in diesem überschaubaren Kreis: Bereits 2009 hat sie die Doppelseite «Wissen» in der Pendlerzeitung 20 Minuten lanciert, damals noch von grosser Polemik aus den Medien selbst begleitet. Mit «Wissen in den Regionalzeitungen», higgs, PopScience und Durchblick folgten in rascher Folge – neue Produkte und Formate, die teils eingestellt, teils erfolgreich weitergeführt wurden.

Es zeigt sich: Das Stiftungsengagement ist dort am effektivsten, wo Stiftungen ihre Kräfte bündeln, so geschehen bei «Wissen in 20 Minuten» zusammen mit der Stiftung Mercator oder bei Pop Science, wo zusammen mit der Ernst Göhner Stiftung und der Volkart Stiftung ein Förderkonsortium gebildet wurde. Entscheidend ist, dass die Medienförderung koordiniert geschieht und sich die betreffenden Stiftungen untereinander absprechen. Diesen Gedanken aufnehmend, findet am 19. November in Lausanne ein Event statt, wo die Fondation Leenaards, die Stiftung Mercator und die Gebert Rüf Stiftung gemeinsam auftreten werden, um den Westschweizer Medien den Innovationsfonds für multimedialen Journalismus und den Media Forward Fund vorzustellen.

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