Projektbeschreibung
Rund die Hälfte der Menschen, die einen Schlaganfall überleben, sind in der Akutphase von einer Inkontinenz betroffen (Dumoulin, Korner-Bitensky, & Tannenbaum, 2007; Lawrence et al., 2001). Die Urininkontinenz steht mit psychischem Stress, verminderter Lebensqualität und sozialer Isolation in Zusammenhang (Ostaszkiewicz, Johnston, & Roe, 2010; White et al., 2014). Die Tatsache, dass inkontinente Menschen nach einem Schlaganfall häufiger in einer Pflegeinstitution untergebracht werden, als kontinente Menschen nach einem Schlaganfall zeigt, dass eine Urininkontinenz im häuslichen Umfeld durch die betroffene Person selbst oder durch die Angehörigen schlecht tolerierbar ist. Die Lebensqualität von pflegenden Angehörigen ist signifikant schlechter, wenn die zu pflegende Person an einer Inkontinenz leidet (Di Rosa & Lamura, 2015). Somit kann die Urininkontinenz nach einem Schlaganfall als ein gesellschaftliches Problem und deren Reduktion als ein gesellschaftliches Bedürfnis angesehen werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Kosten für die Pflege der Betroffenen in einer stationären Langzeiteinrichtung um ein vielfaches höher sind als wenn die Person mit einem Schlaganfall Zuhause gepflegt werden kann.
Der Rehabilitationsaufenthalt wird dazu genutzt, die Person nach einem Schlaganfall auf das Leben mit den Einschränkungen, welcher ein Schlaganfall mit sich bringt, vorzubereiten. Die Förderung der Urinkontinenz soll dabei einen pflegerischen Schwerpunkt bilden. Das vorliegende Projekt hat zum Ziel die kontinenzfördernden Massnahmen in der Rehabilitationspflege mittels der Entwicklung und Implementation einer interdisziplinär durchgeführten Intervention zu verbessern, damit mehr Menschen nach einem Schlaganfall wieder die Urinkontinenz erreichen oder Strategien erlernen, wie sie mit einer Inkontinenz umgehen können. Dies bedeutet für die Betroffenen und Angehörigen eine bessere Lebensqualität, das Risiko einer Einweisung in eine Pflegeinstitution kann reduziert werden und somit hat die Intervention einen nachhaltigen, gesellschaftlichen und finanziellen Nutzen. Bis anhin existiert kein international anerkanntes systematisches Inkontinenz-Management für Menschen nach einem Schlaganfall (Thomas et al., 2008; Woodward, 2014). In diesem Projekt wird erstmalig ein solches Management evidenzbasiert entwickelt, implementiert, getestet und bezüglich Kosten-Nutzen-Verhältnis evaluiert.
Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Da das interdisziplinäre Praxisteam in sämtlichen Projektschritten, von der Entwicklung der Intervention, über die Implementation bis zur Evaluation aktiv am Projekt teilnimmt, können dieses Potential und das ausgeprägte Erfahrungswissen in die Intervention einfliessen. Ein solches Vorgehen ist aus Sicht der Forschung innovativ und lässt einen höheren Nutzen für die Patientinnen und Patienten erhoffen. Oftmals wird im Gesundheitswesen lediglich der Nutzen einer Intervention analysiert und das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird dabei nicht evaluiert, obwohl der Kostendruck im Gesundheitswesen massiv zugenommen hat.
Stand/Resultate
Die erste Etappe des Projektes ist abgeschlossen, dabei wurde die Intervention entwickelt. Es wurden zwei qualitative Studien durchgeführt um einerseits mittels Interviews die Bedürfnisse der betroffenen Patientinnen und Patienten darzustellen und andererseits wurden Fokusgruppeninterviews mit dem interdisziplinären Behandlungsteam geführt um deren Erfahrungen bezüglich Kontinenzförderung beim Menschen nach einem Schlaganfall zu erfassen. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studien sowie den Resultaten einer aktuellen systematischen Literaturübersicht und der Berücksichtigung von Expertenwissen wurde die Intervention zur Kontinenzförderung für Menschen nach einem Schlaganfall anschliessend entwickelt. Das positive Votum der zuständigen Ethikkommission liegt vor, die Testung der Intervention sowie die Analysen sind abgeschlossen. Die Forschungsfragen konnten beantwortet werden. Die Inkontinenz hat in der Kontroll- sowie der Interventionsgruppe abgenommen, jedoch ohne gruppenspezifischen (Kontroll- vs. Interventionsgruppe) signifikanten Unterschied. Innerhalb der beiden Gruppen zeigten sich im Studienverlauf mehrheitlich statistisch signifikante Verbesserungen der Lebensqualität (Gesamt und Subgruppe) und der Selbstpflegefähigkeit. Über alle Messzeitpunkte hinweg ist der Zeitaufwand in der Interventionsgruppe deutlich höher. Innerhalb der Gruppen nimmt der Zeitaufwand sowohl in der Kontroll- als auch in der Interventionsgruppe statistisch signifikant ab. Ein gruppenspezifischer (Kontroll- vs. Interventionsgruppe) Unterschied im zeitlichen Verlauf kann nicht beobachtet werden. Der erhöhte Zeitbedarf lässt sich rechtfertigen, da in der Interventionsgruppe signifikant grössere Verbesserungen erzielt werden konnten. Bei 39 Pflegenden konnte der Wissensstand vor und nach der Intervention getestet werden. Dabei ergab sich eine signifikante Steigerung. Die Ergebnisse der qualitativen Studie ergänzen und bestätigen die Ergebnisse der quantitativen Analyse. Bedingt durch die Corona-Krise musste die Umsetzung des neuen Inkontinenzmanagement in die Praxis verschoben werden.
Publikationen
Kohler, M., Mayer, H., Battocletti, M., Kesselring, J. & Saxer, S. (2016). Wirksamkeit von nichtmedikamentösen Interventionen zur Förderung der Urinkontinenz bei Menschen nach einem cerebro-vaskulären Insult: Eine systematische Literaturübersicht. Pflege, 29(5), 235–245. doi:10.1024/1012-5302/a000493;
Kohler, M., Hanna, M., Kesselring, J. & Susi, S. (2017). Post-Cerebrovascular Accident Unpredictable Incontinence: A Qualitative Analysis of an Interdisciplinary Rehabilitation Team’s Perspective. Rehabilitation Nursing Journal, 00(00), 1–9. doi:10.1097/rnj.0000000000000097;
Kohler, M., Mayer, H., Kesselring, J. & Saxer, S. (2017). (Can) Not talk about it - Urinary incontinence from the point of view of stroke survivors: a qualitative study. Scandinavian Journal of Caring Sciences. doi:10.1111/scs.12471;
Kohler, M., Hanna, M., Jeanette, M., Jürg, K. & Susi, S. (2016). Erleben der Inkontinenz nach Hirnschlag, Posterpräsentation, SBK Kongress, Davos;
Kohler, M., Mayer, H., Mullis, J., Kesselring, J. & Saxer, S. (2016, September). Erleben der Inkontinenz nach Hirnschlag, Posterpräsentation, Geriatrie- und Gerontologiekongress, Stuttgart.
Medienecho
Links
Am Projekt beteiligte Personen
Prof. Dr. Susi Saxer, Projektleiterin, Institut für Angewandte Pflegewissenschaft, Fachhochschule St.Gallen
Prof. Dr.oec. et mag.oec HSG Marco Steiner, Institut für Unternehmensführung, Fachhochschule St.Gallen
Dr.oec HSG et Dipl.-Math.oec Stefan Ott, Fachbereich Wirtschaft, Fachhochschule St.Gallen
Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer, Vorständin des Instituts für Pflegewissenschaft, Universität Wien
Prof. Dr. Jürg Kesselring, Chefarzt Neurologie und Neurorehabilitation, Kliniken Valens
Myrta Kohler MScN, Institut für Angewandte Pflegewissenschaft, Fachhochschule St.Gallen
Letzte Aktualisierung dieser Projektdarstellung 20.10.2020