Projektbeschreibung
Die heute bestehenden Fachhochschulen wurden durch das 1995 verabschiedete Fachhochschulgesetz des Bundes geschaffen. Das neue Gesetz hatte die Absicht, die Berufsbildung aufzuwerten und gleichzeitig einen Innovationsschub im tertiären Bildungsbereich auszulösen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten Universitäten und Fachhochschulen als Bildungsstätten „gleichwertig, aber andersartig“ sein. Das Projekt geht der Frage nach: Hat die als Innovation des Schweizer Hochschulsystems gedachte Reform gehalten, was sie versprochen hat?
Das Projekt wurde mit der Studie „Programmatik und Entwicklung der Schweizer Fachhochschulen“ abgeschlossen und steht als Download zur Verfügung (siehe unten, Links).
Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Es darf erwartetet werden, dass die Studie Auskunft darüber gibt, wie sich die Profile von Fachhochschulen und Universitäten in Bezug auf ausgewählte Indikatoren unterscheiden. Zudem wird sich zeigen, wie hoch die Steuerungswirkung politischer Akteure in der Hochschulpolitik ist. Denn allfällige strukturelle Anpassungen zwischen Universitäten und Fachhochschulen können auch als Ergebnis eines selbstadaptiven Prozesses verstanden werden. Aus Sicht der Gebert Rüf Stiftung sind die Ergebnisse insbesondere deshalb von Interesse, weil sich diese Stiftung in der Innovationsförderung an Schweizer Hochschulen engagiert. Es ist zu erwarten, dass die Arbeit dazu beitragen wird, die Fokussierung auf wirksame Projekte zu unterstützen. Zudem werden Impulse für die laufenden Reformen in der Hochschulpolitik erwartet.
Stand/Resultate
„Ja und nein“ lautet die Antwort dieses im Januar 2010 abgeschlossenen Projekts:
Ja, weil das Projekt aufzeigen kann, dass das neue Gesetz einen enormen Entwicklungsprozess im ausseruniversitären Tertiärbereich des Bildungswesens ausgelöst hat. Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von rund fünfzehn Jahren wurden bestehende Höhere Fachschulen zu Fachhochschulen transformiert und deren Angebot erweitert. Um diesem Status zu entsprechen, mussten diese Schulen praxisorientierte, wissensbasierte und berufsbezogene Studiengänge aufbauen, die sich von denjenigen der Universitäten mehr oder weniger stark unterschieden. Zudem bauten die Fachhochschulen die ergänzende Weiterbildung erheblich aus und trafen Vorkehrungen für die Durchführung anwendungsorientierter Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Schliesslich bieten sie mehr als die Universitäten Dienstleistungen für Dritte an.
Nein, weil die Fachhochschulen nicht neu geschaffen wurden, sondern ein „Upgrading“ der früheren Höheren Fachschulen darstellen, die traditionell regional stark verankert sind. Regelmässig stellten Verantwortliche der einbezogenen Berufsorganisationen in der Planungsphase fest, dass die Ausbildungen in ihrem Bereich bereits weitgehend dem für Fachhochschulen gesetzten Standard entsprachen. Demzufolge lag eine Umwandlung der Höheren Fachschulen in Fachhochschulen nahe. Den entsprechenden Abschlüssen sei gegenüber den universitären Abschlüssen Gleichwertigkeit einzuräumen. Diesen Anliegen wurde durch intensive Lobbytätigkeit bei den Behörden Nachachtung verschafft. Damit orientieren sich Fachhochschulen in erster Linie an den Notwendigkeiten der Berufs- und Arbeitsmarkt- und weniger an jenen der Wissenschaftspolitik.
Aufgrund der breiten empirischen Basis hat das Projekt auch zu zahlreichen Erkenntnissen geführt, welche über die oben formulierte Leitfrage hinausgehen:
- In der Auswertung der Botschaft des Bundesrates, der Parlamentsdebatte, der Vernehmlassung sowie weiterer Dokumente und einzelner Gespräche mit involvierten Akteuren wurden die Ziele für Lehre, Forschung, Weiterbildung und Dienstleistung analysiert, welche die verschiedenen Akteure mit den Fachhochschulen verfolgen. Damit wird klar, dass die Fachhochschulen in erster Linie als Ausdifferenzierung der Berufsbildung und nicht als Innovation des schon bestehenden Hochschulsystems zu verstehen sind. Deutlich kann in diesem Zusammenhang die schwierige Rolle der Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz aufgezeigt werden. Sie muss immer wieder die Spannungsfelder zwischen akademischen und beruflichen Ansprüchen ausbalancieren. Einerseits haben die Universitäten für die Fachhochschulen eine Leitbildfunktion, was unter formalen Gesichtspunkten (z.B. hinsichtlich Abschlüssen) zu einer gewissen Gleichartigkeit führt. Andererseits ist es offensichtlich, dass sich Fachhochschulen unter substanziellen und organisatorischen Gesichtspunkten weiterhin stark an der Berufsbildung und ihrer Tradition orientieren. Daraus ergibt sich gewissermassen eine doppelte Legitimation dieses Hochschultyps, aber auch seiner ambivalenten strukturellen Position im tertiären Bildungsbereich.
- Die Auswertung verfügbarer hochschulstatistischer Daten lässt überdies erkennen, dass die reale Entwicklung von den programmatischen Vorstellungen zum Teil erheblich abweicht. Auffallend ist besonders die grosse Heterogenität im Fachhochschulbereich. „Die Fachhochschule“ gibt es noch viel weniger als „die Universität“. So unterscheiden sich beispielsweise die Anteile der Studierenden mit Berufsmaturität zwischen den Fachhochschulen und den Fachrichtungen sehr stark. Die höchsten Quoten von Studierenden mit Berufsmaturität weisen jene Fächer auf, die auch an den Universitäten studiert werden könnten (Architektur, Technik, Wirtschaft usw.). In jenen Studienrichtungen hingegen, die nur an den Fachhochschulen belegt werden können, finden sich vergleichsweise tiefe Anteile von Studierenden mit Berufsmatura. Auch die Struktur des wissenschaftlichen Personals variiert erheblich zwischen den Fachhochschulen und zwischen den Studienrichtungen.
- In der Onlinebefragung beim wissenschaftlichen Personal zweier Studiengänge, die sowohl an Universitäten wie auch an Fachhochschulen belegt werden können, haben wir nach Unterschieden zwischen den beiden Hochschultypen und den ausgewählten Studiengängen gesucht. Den Daten der Befragung kann beispielsweise entnommen werden, dass sich die Profile der in die Analyse einbezogenen universitären und hochschulischen Institute für Bauingenieurwesen/Bauingenieurwissenschaften und Soziale Arbeit nicht trennscharf abgrenzen lassen. Mit Blick auf die Lehrpraktiken und -kulturen zeigen sich zwischen den untersuchten Studiengängen zudem offensichtlichere Unterschiede als zwischen den Hochschultypen. Diese Unterschiede lassen sich auf die jeweilige Wissensbasis in den Ausbildungen zurückführen: Das Bauingenieurwesen kennzeichnet sich durch ein höheres Mass an konsolidiertem Wissen und Standardisierungen aus, die sich im Stand der Technik widerspiegeln, als die Soziale Arbeit. Für die Lehre lassen sich daraus gewisse Standards ableiten. Die Soziale Arbeit ist hingehen eher durch fachübergreifendes Wissen mit einer geringen theoretischen Konsolidierung gekennzeichnet. Der Grad der Standardisierung ist niedrig und es gibt keinen etablierten Stand der Wissenschaft.
- Schliesslich geben vier vertiefende Fallstudien Einblick in die Praxis der Studiengänge für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Freiburg und an der Universität Freiburg sowie in jene für Bauingenieurwesen/Bauingenieurwissenschaften an der ETH Zürich beziehungsweise an der Zürcher Hochschule für Angewandte Forschung in Winterthur. Mittels Dokumentenanalysen, Auswertungen statistischer Analysen sowie ergänzenden Expertengesprächen wurde beispielhaft ein vertiefter Einblick in hochschultyp- und studiengangspezifische Strukturen und Praktiken sowie die sie bedingenden lokalen Rahmenbedingungen erarbeitet. Dabei bestätigte es sich, dass Profilbildung im Hochschulbereich nicht nur mit dem politisch definierten Auftrag des jeweiligen Hochschultyps zusammenhängt, sondern auch von der Verfasstheit und sozialen Strukturierung der für die Ausbildung jeweils verfügbaren Basis an Wissen und Können abhängt. Es kann vermutet werden, dass die Hochschulpolitik nur dann einen klar profilierten, binär strukturierten Hochschulbereich schaffen kann, wenn sich alle Ausbildungsfelder auf eine systematische und konsolidierte Wissensbasis stützen können.
Der Schlussbericht wird auf der Homepage des Zentrums für universitäre Weiterbildung der Universität Bern und bei Interface Politikstudien Forschung Beratung, Luzern (siehe unten, Links) der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein Diffusionsprojekt, das unter anderem eine rund dreissigseitige, redaktionell und graphisch professionell aufgearbeitete Zusammenfassung vorsieht, ist in Vorbereitung.
Publikationen
Tremel, Patricia; Weber, Karl; Fässler, Sarah (2009): Differentiation and Segmentation in Swiss Higher Education, Paper delivered to the Colloque du RESUP-OSPS Lausanne.
Weber, Karl; Tremel, Patricia (2010): Die eigenen Wege der Fachhochschulen, Dynamik und Erfolg des neuen Hochschultyps, aber kein eindeutiges gemeinsames Profil, Neue Zürcher Zeitung vom 12.1.2010, S. 13.
Weber, Karl; Balthasar, Andreas, Tremel, Patricia; Fässler, Sarah (2010): Gleichwertig, aber andersartig? Schlussbericht des Projekts „Programmatik und Entwicklung der Fachhochschulen in der Schweiz“ der Gebert Rüf Stiftung (Projekt-Nr.: GRS-066/07), Bern.
Weber, Karl; Tremel, Patricia; Balthasar, Andreas (2010): Die Differenzierung des Schweizer Hochschulsystems und seiner Kontexte, Beitrag im Sonderheft der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft: Berufsbildungs- und Hochschulpolitik in der Schweiz, Österreich und Deutschland, Bern.
Medienecho
Weber, Karl, Balthasar, Andreas, Tremel, Patricia, Fässler, Sara (2010): Gleichwertig, aber andersartig? Zur Entwicklung der Fachhochschulen in der Schweiz,
Links
Am Projekt beteiligte Personen
Letzte Aktualisierung dieser Projektdarstellung 12.05.2020